Einführung zur Ausstellung
Anna Recker – Jhemp Bastin
Trier Palais Walderdorff – April 2021
Mitunter mutet eine gemeinsame Einführung in die Werke zweier Kunstschaffender, die auf einen – zu schnellen – ersten Blick hin sehr verschiedenartige Ausdrucksweisen verfolgen, wie der Versuch an, der Quadratur des Kreises auf die Spur kommen zu wollen. Da drohen zwangsläufig pseudo-intellektuelle Klimmzüge ohne Fangnetz über dem freien Interpretationsraum.
Doch in den Werken der Malerin Anna Recker und des Holzbildhauers Jhemp Bastin, die hier im Palais Walderdorff in einen künstlerischen Dialog gestellt sind, geht es gerade um geometrische Grundelemente wie Quadrat und Kreis.
Demnach sollten wir das Ganze gelassen angehen.
Denn die Formensprachen von Anna Recker und Jhemp Bastin lassen sich nicht auf eine rein konkrete Grammatik der Abstraktion reduzieren. Sie entwickeln vielmehr einen vielschichtigen, verweisenden Charakter mit ebenso spannenden wie spannungsvollen Ein- und Ausblicken.
Anna Recker, die in Bad Laer (Osnabrück) geboren wurde, lebt in Luxemburg. Zu ihrem Kunstweg sagt sie: “Seit Jahren beschäftige ich mich mit Dreiecken und Hexagonen, Hexagone als Zellstruktur, Faltobjekte, Puzzlespiel, Muster und Netze wie Koordinationssystem, Endlosstreifen, Installationen und geometrische Choreografien. Geometrie, Mathematik, Rationalität – Fantasie, Intuition, Emotion bilden spannende Gegensätze, die ich in meiner Arbeit verbinden möchte.“
Mathematik und Geometrie sind in Anna Reckers Kunstsprache kein Selbstzweck, keine « art pour art »-Theorie im Dienst einer leicht nachzuvollziehenden Zahlenästhetik.
Mathematik und Geometrie erhalten hier zusätzlich philosophische, poetische, emotionale, mitunter transzendentale, andeutungsweise gar magische Bedeutung. Sie bilden die rationale, schützende Außenhaut, die in ihrem geistigen Inneren Kunst-Geheimnisse hütet.
Der leichte Hauch von Mystik, gleichzeitig die Faszination für archaische Impulse, haben Anna Reckers konsequentes, rational intellektuelles Vorgehen stets mitgeprägt.
In den früheren Arbeiten von Anna Recker erschienen Raum und Architektur wie Landschaftsschilderungen der Apokalypse. Asketische Sinnbilder des Werdens und Vergehens, Spuren des Menschen, der alles geschaffen hat und doch aus dem Blickfeld verschwunden ist.
Doch nach und nach verschwanden solche figürlichen Zitate. Die Landschaften und ihre Elemente wurden zu strukturierten Flächen umgewandelt, zu geometrisch ausgerichteten Kompositionen, zu seriellen Reihungen, die immer wieder neu zusammengesetzt werden können.
Hier spiegeln sich Anna Reckers Sensibilität für und ihr großes Wissen um die mathematisch geprägte Formgebung, die die gesamte Kunstentwicklung von der Antike bis hin zum Konstruktivismus und der konkreten kunst unserer Zeit durchzieht.
Der Akt der akribisch ausgeführten künstlerischen Transformation wird zur treibendenden Kraft des Schaffensprozesses.
Der Bildhauer Jhemp Bastin lebt in den luxemburgischen Ardennen. Seine skulpturale künstlerische Entwicklung ist eng mit dem natürlichen Werkstoff Holz verbunden. Sein Schaffen ist ein ebenso konsequentes wie innovatives Voranschreiten, das Elemente der klassischen Holzbildhauerei mit den künstlerisch unkonventionellen Arbeitstechniken der Kettensäge und des Brennens hinterfragt und neu ausrichtet.
Holz ist ein eigen-artiger Werkstoff, vor allem wenn ganze Baumstämme die bildhauerische Arbeit definieren. Zudem muss künstlerisches Arbeiten mit diesem Werkstoff auf einem authentischen, nachhaltigen Naturverständnis fußen.
Jhemp Bastin pflegt einen meisterhaften Umgang mit dem Werkstoff Holz. Er tut dies stets in einem respektvollen, sehr sensiblen, doch auch künstlerisch kraftvollen Dialog.
So schneidet er mit der Kettensäge die formalen, geometrisch abstrakten Skulpturenelemente in den Holzstamm: Kuben, Blöcke, Stangen, Gitter und – neuerdings – filigrane geometrisch vernetzte Strukturen. Dem Flämmen einzelner, genau definierter Teile kommt dabei eine grundlegende, gestalterische Funktion zu.
Jhemp Bastins Dialoge mit dem Werkstoff Holz sind keine gemächlichen, romantisierenden Plauschrunden am Sonntagnachmittag. Der Bildhauer ist nicht auf ästhetisch nur schöne, letztlich aber belanglose hölzerne Harmonie aus.
Er hinterfragt das Material, dringt mit konsequenter Kraft bis in den Grenzbereich der Holz-Belastbarkeit, bis zu einer bestimmten Entmaterialisierung vor, um die maximale Spannung zwischen der organischen Urtümlichkeit des Baumes und der geometrischen Formgebung zu erreichen.
Besonders zeigt sich das in den neueren Arbeiten: Hier gehen die stelenhaft groben Holzblöcke in filigrane, lichtgezeichnete, subtile geometrische Geflechtstrukturen über.
Diese Skulpturen sind konzeptuelle künstlerische „Untersuchungen“ zu den Themen Raum, Volumen, Fläche, Form, Licht und Lichtfluss. Baumstämme werden zu ausgeklügelten geometrischen Kompositionen, die Masse und Schwerkraft am Rande des Gleichgewichts austarieren.
Die Werke, die Anna Recker und Jhemp Bastin in dieser Ausstellung im Palais Walderdorff in Bezug stellen, eignen sich nicht für den schnellen Schaufensterblick des Alles und Nichts, sie wollen in Ruhe betrachtet, sie wollen im Raum erlebt werden.
Selbst wenn man diese Arbeiten als reine Form- und Farbkonzeptionen betrachtet, wird man irgendwann von der bewegt-ruhigen, kontrastierend-harmonischen Poesie erfasst, die diese Werke prägt.
Man wird nicht nur den Raum, in den solche Arbeiten hineingestellt sind, neu entdecken, man wird auch in den Werken selbst das herauslesen, was Architektur, Bild und Skulptur mitunter so eng verbindet: das künstlerische Erschaffen von Raum und Volumen, von Öffnung und Geschlossenheit, von Ruhe und Dynamik, von Durchblick und Weitblick weit über das eigentliche Formgefüge hinaus.
Mathematik und Fantasie. Rationalität und Emotion. Eine Symbiose aus intellektueller Systematik und wohltemperierter Intuition.
Damit sind wir mitten im Raum des menschlichen Maßes angekommen.
Und spätestens hier ist auch der Punkt, an dem die Bilder von Anna Recker mit den skulpturalen Räumen von Jhemp Bastin in eine enge Verbindung treten, der Punkt, an dem die Blicke sich kreuzen.
Wir sollten unseren Blick für diesen ästhetischen und geistigen Dialog öffnen.
Dr. Paul Bertemes
Luxemburg, im März 2021